Frank Müller-Eberstein, Ingo Wortmann

Flächensparender Vorrang von Strassenbahnen und Bussen:
Triviales Problem mit Standardlösungen?

Replik auf den Beitrag von Henning Krug: „Flächensparender Vorrang von Strassenbahnen und Bussen" in Planerin 2/00

Unzweifelhaft ist das vom Verfasser in dem Beitrag „Flächensparender Vorrang von Bahnen und Bussen" in PlanerIn 2/00 dargestellte Problem der Integration von Straßenverkehrsanlagen in urbane, historisch bedingt enge Straßenräume ein gerade in den neuen Bundesländern viel diskutiertes Problem. Nachdem man aus Finanz-, aber insbesondere auch Attraktivitätsgründen zunehmend auf den Bau von unterirdischen Stadtbahnen verzichtet, ist dieses Problem aktueller denn je. Auch in Dresden ist ein wesentlicher Aspekt der Stadtplanung, die außerhalb der in 1945 stark zerstörten Altstadt erhalten gebliebenen gründerzeitlichen Straßenzüge zu erhalten und schonend an die erheblich zugenommene Verkehrsbelastung anzupassen. Es ist allgemeiner Konsens, dass hierzu flexible Lösungen unter Abwägung aller Aspekte herangezogen werden müssen.

Unverständlich ist demgegenüber aber, dass teilweise in Veröffentlichungen oder auch in täglichen Diskussionen die Querschnittslösung des besonderen Bahnkörpers grundsätzlich in Kritik geraten ist. Vor weiteren detaillierten Ausführungen sei anfänglich gesagt, dass vor allem diese Querschnittsform eine leistungsgerechte und sichere Verkehrsabwicklung des ÖPNV garantiert. Dies wird auch durch Analyse der täglich auftretenden Störungen und Auswertungen der Unfallsituation gestützt. Diese Aspekte als „einfaches Management" zu bezeichnen, ist an dieser Stelle grob vereinfachend und verwischt vielfältige Zusammenhänge. Auch bei Strecken mit besonderem Bahnkörper ist der Effizienzvorteil bezüglich des sparsamen Umganges mit knappen Flächen gewährleistet. Die Verwaltung der Landeshauptstadt Dresden und die DVB AG planen im Zuge der Königsbrücker Straße eine Ausbauform mit besonderem Bahnkörper und zwei Fahrstreifen pro Richtung für den MIV. Insgesamt entsteht damit ein Breitenbedarf von etwa 6 m für den ÖPNV sowie 12 m für den MIV. Während der werktäglichen Spitzenstunde wird diese Straße von etwa 1.300 Fahrgästen und 1.000 Kraftfahrzeugen pro Richtung frequentiert. Wenn im MIV ein Besetzungsgrad von 1,2 zugrunde gelegt wird, folgt daraus, dass etwa gleich viele Personen im ÖPNV wie im MIV befördert werden, aber für die Straßenbahn nur die Hälfte der Flächeninanspruchnahme des MIV notwendig ist. Bei der Erarbeitung der Verkehrslösung sind mehrere Querschnittsvarianten untersucht und verkehrstechnisch simuliert worden. Fakt ist, dass eine Lösung mit straßenbündigem Bahnkörper und Kap-Haltestellen zu erheblichen Störungen, sowohl bei MIV als auch bei ÖPNV führt, so dass nach Abwägung dieser Aspekte ein besonderer Bahnkörper in diesem Straßenzug unverzichtbar ist. Hierzu soll im Folgenden noch einmal vertiefter eingegangen werden.

Die in den Folgeabschnitten dargestellten Zusammenhänge bezüglich der dynamischen Straßenraumfreigabe sind nicht neu, werden auch in Dresden schon seit einigen Jahren diskutiert und sind teilweise an Stellen, an denen dies möglich ist, bereits durch die DVB AG umgesetzt worden. Dies betrifft beispielsweise die Steinbacher Straße und die derzeit im Umbau befindliche Großenhainer Straße im Abschnitt zwischen Hubertusplatz und Endschleife Wilder Mann. Aus dieser Sicht ist daher auch unbestritten, dass die Möglichkeiten der zeitlichen Trennung für bestimmte Bereiche eine sinnvolle Form der Verkehrsabwicklung sein kann. Dieses Prinzip ist allerdings, wie so oft in der Verkehrsplanung, nur unter bestimmten Rahmenbedingungen tatsächlich umsetzbar.

Henning Krug nutzt hier insbesondere auch eine Veröffentlichung von Schnüll und Albers aus 1995 zur dynamischen Straßenraumfreigabe für Straßenbahnen und Stadtbahnen. Hierin sind Einsatzbereichsgrenzen der dynamischen Straßenraumfreigabe dargestellt (S. 144):

  • Der Streckenzug mit straßenbündigem Bahnkörper sollte zwischen Abschnitten mit anderen Bahnkörperarten liegen, die eine Stauraumumfahrung des Nahverkehrfahrzeuges im Zulauf und einen freien Abfluss aus dem straßenbündigen Bahnkörper gewährleisten.
  • Die Knotenpunkte im Verlauf des Streckenzuges mit dynamischer Straßenraumfreigabe sollten ausreichende Leistungsfähigkeitsreserven aufweisen.
  • Im Streckenzug sollten sich keine übergeordneten querenden Verkehrsbeziehungen und keine Knotenpunkte mit konkurrierenden ÖPNV-Linien befinden,
  • die Fahrzeugfolge sollte etwa bei 12 Fahrzeugen je Richtung und Stunde beim ÖPNV nicht überschritten werden und die
  • Kraftfahrzeugverkehrsstärken um ca. 1.500 KFZ pro Spitzenstunde im Querschnitt bei einspurigem Richtungsverkehr bzw. ca. 3.000 KFZ pro Spitzenstunde im Querschnitt bei zweispurigem Richtungsverkehr sollten nicht überstiegen werden. Zudem seien in den Knotenbereichen erforderliche Aufstellspuren für Abbiegeströme anzulegen.

Mithin sind auch die Aussagen zu den Einsatzbereichen der dynamischen Straßenraumfreigabe auf Seite 63 des vorliegenden Artikels, nach denen ein Anlass zu der Annahme bestehe, „dass Mischverkehr von MIV und ÖV keine besondere Kapazitätsgrenzen habe, die ihn auf schwächere belastete Straßen beschränken", falsch und widersprechen auch den praktischen Erfahrungen der DVB AG. Später schränkt der Verfasser seine Aussagen selbst ein, indem er darstellt, dass noch ca. 4.000 KFZ pro Stunde und Richtung durchaus möglich sind. Dies erscheint aber auch zu hoch. Die Problematik ist zudem situationsbezogen zu betrachten. Bei o. g. Beispiel zur Königs-brücker Straße ist bereits bei Verkehrsstärken von rund 2.000 KFZ pro Spitzenstunde im Querschnitt bei zweistreifigem Richtungsverkehr die Leistungsfähigkeit aufgrund der Haltestellen- und Knotenpunktspezifik nicht mehr gegeben, wie dies in einer verkehrstechnischen Simulation nachgewiesen wurde.

Zu den Einzelpunkten möchten wir Folgendes noch hinzufügen:

Städtebau

Prinzipiell ist richtig, dass Flächeneinsparungen städtebauliche Vorteile ergeben. In der Praxis stellt sich dies aber in aller Regel komplexer dar. Insbesondere werden Planungen der DVB AG, die die vom Verfasser vorgeschlagenen Elemente enthalten, aus städtebaulicher Sicht kritisiert, da durch das Heranführen der Gleise an die Kap-Haltestelle bzw. Einordnung von Linksabbiegefahrstreifen zwischen den Gleisen keine optisch geradlinige Struktur der Straßenaufteilung entsteht. Um dies zu vermeiden, wäre dann grundsätzlich ein Mittelstreifen zwischen den zwei Gleisen einzuordnen, der dann, wie vom Verfasser vorgeschlagen, unterschiedliche Funktionen aufnehmen könnte. Diese Idee stößt aber dann an ihre Grenzen, wenn keine Nutzung für einen derartigen Streifen vorhanden ist. • Dem gegenüber ermöglicht ein besonderer Bahnkörper, insbesondere wenn er begrünt ist, durchaus eine attraktive Straßenraumgestaltung.

Fußgänger und Radfahrer

In Streckenabschnitten mit Bahnkörpern sind an den Knotenpunkten oftmals Haltestelleninseln, die ähnliche Funktionen erfüllen, wie der vom Verfasser vorgeschlagene Mittelstreifen und damit auch die gleichen Vorteile bieten.

Motorisierter Individualverkehr

Die Äußerungen zum motorisierten Individualverkehr sind in ihrer generalisierenden Darstellung zum Teil nicht praxisgerecht. Richtig ist, dass prinzipiell die Anordnung von Längsparkstreifen oder Lade- und Lieferzonen am Fahrbahnrand einfacher wird, wenn für den fließenden Verkehr, in diesem Fall für den ÖPNV, weniger Fläche benötigt wird. Dies unterstreicht aus unserer

Sicht allerdings nur, dass der konkrete Straßenraumentwurf tatsächlich eine Abwägungsfrage zwischen den funktionalen Ansprüchen an die Straße ist und entsprechende Lösungen flexibel gehandhabt werden sollten. Beispielsweise können Lieferungen, so sie zeitlich auf die frühen Morgenstunden begrenzt bleiben und ansonsten in dieser Zeit keine größeren Fußgängerverkehre vorhanden sind, auch durchaus auf entsprechenden Bereichen auf dem Gehweg durchgeführt werden, so dass eine Flächeninanspruchnahme für Anlieferverkehr entfällt und dem ÖPNV zugute kommen kann, wenn er denn einen Vorteil davon hat. Der Verfasser zeigt an dieser Stelle keine Lösung des Problems auf, sondern nur einen Teil der Wechselbeziehungen der Flächeninanspruchnahme bei verkehrlichen Planungen.

Unverständlich ist die nachfolgende Passage über besondere Linksabbiegespuren oder eine separate Signalisierung. Gerade bei der dynamischen Straßenraumfreigabe ist zu gewährleisten, dass das ÖPNV-Fahrzeug unbehindert den Bereich passieren kann. Daher stellen auch Schnüll und Albers fest, dass „das notwendige Freiräumen des Gleisbereiches an Knotenpunkten vom Geradeausverkehr und vom Linksabbiegeverkehr" notwendig ist (vgl. S.142.). Insbesondere ist es auch erforderlich, dass linksabbiegende Verkehre so lange gesperrt bleiben, bis eine im Gegenverkehr fahrende Straßenbahn den Konfliktpunkt geräumt hat. Bei sich begegnenden Straßenbahnen und Linksabbiegern in beiden Richtungen entsteht eine gegenseitige Blockade. Es tritt nur dann tatsächlich eine Entschärfung ein, wenn im Bereich des vom Autor vorgeschlagenen Mittelstreifens in genügender Länge ein separater Linksabbiegefahrstreifen abmarkiert wird.

Die Aussagen zu möglichen zusätzlichen Fahrspuren bei Mischverkehr in der Zufahrt sind nicht sonderlich hilfreich. Insbesondere hat der Autor auf Seite 261 festgestellt, und dies entspricht auch der Praxis, dass es gerade in Zufahrten notwendig ist, der Straßenbahn eine Stauraumumfahrung zu ermöglichen. Somit erscheint gerade an dieser Stelle eine Separierung sinnvoll.

Öffentlicher Verkehr

Unstrittig sind die Vorteile einer Kap-Haltestelle aus Sicht der Fahrgäste. Oftmals verbietet sich allerdings leider diese Haltestellenform aufgrund einer entsprechenden Verkehrsbelastung durch den MIV. Gerade in Hauptverkehrsstraßen sind die Lichtsignalanlagen in Form einer Grünen Welle koordiniert. Aus dieser Sicht weist diese Haltestellenform Nachteile auf, die dazu beitragen, dass trotz der Vorteile für die Fahrgäste eine Umsetzung in der Realität nicht immer möglich ist. Die nachfolgenden Aussagen zur Beförderungsgeschwindigkeit, Reisezeit und Zuverlässigkeit zweifeln wir nicht grundsätzlich an. Wesentlich ist aber die Aussage, dass keine nachteiligen Effekte „bei richtiger Organisation" entstehen.

Als richtige Organisation fassen wir, wie der Verfasser auch im Weiteren schreibt, tatsächlich das Prinzip der dynamischen Straßenraumfreigabe mit seinen o. g. sehr eng gesteckten Rahmenbedingungen auf. Das unterstreicht die Aussage, dass das genannte Prinzip aus verkehrlich-technischer Sicht eine Lösung für bestimmte Problemfälle darstellt, allerdings nicht zum generellen Prinzip erhoben werden kann, wie man dies aus dem vorliegenden Artikel herauslesen kann.

Einsatzbereiche

Die Aussagen zur Kapazitätsgrenze von Streckenabschnitten, die nach der dynamischen Straßenraumfreigabe gestaltet sind, wurden bereits oben kommentiert.

Ebenfalls kritikwürdig erscheinen aber auch die Aussagen, dass Takte von unter 3-4 Minuten vermieden werden sollten, da keine Verbesserung für den Fahrgast mehr erbracht würde. Gerade in Innenstadtbereichen entstehen durch Linienbündelung Takte unter diesem Wert. Diese sind aber erforderlich, um eine entsprechende Anbindung der City an möglichst viele Außenbereiche zu ermöglichen. Hier ist also weniger die Attraktivität der Zugfolgezeit wesentlich, sondern die Vielzahl der an diesen Punkten vorhandenen Quelle-/Zielbeziehungen. Auch können zusätzliche Parallelstrecken dazu führen, dass die Fahrgäste an ihrem eigentlichen Ziel vorbeigeführt werden.

Als Fazit ist aus unserer Sicht das Prinzip der dynamischen Straßenraumfreigabe sicherlich eine sehr interessante Lösung zur Bewältigung der Probleme in urbanen Straßenräumen und ist in der Praxis längst realisiert. Es sollte aber nicht in einer generalisierenden Weise als grundsätzliches Lösungsprinzip aufgezeigt werden, sondern nur im Rahmen ihrer verkehrlichen Rahmenbedingungen bewertet und eingesetzt werden. Artikel wie der vorliegende tragen u. E. nicht dazu bei, eine Problemlösung unter Abwägung aller Belange zu gewährleisten. Sämtliche Aspekte können mit bereits vorhandenen Methoden bewertet werden. Hierzu gehört beispielsweise eine Simulation des Verkehrsablaufes, nach der entsprechende Planungen, auch die dargestellten in Halle, bewertet werden. Aus dem Artikel ist nicht herauslesbar, dass entsprechende Verfahren angewendet wurden. Sie sind aber wesentlich zur abschließenden Beurteilung eines Querschnittsentwurfes für eine innerstädtische Straße.

Frank Müller-Eberstein, Dipl.-Ing., Bauassessor, Dresdner Verkehrsbetriebe AG, Dresden

Ingo Wortmann, Dipl.-Ing., Dresdner Verkehrsbetriebe AG, Dresden

Literatur

Schnüll, Reinhard; A. Albers (1995): Dynamische Straßenraumfreigabe für Straßenbahnen/Stadtbahnen, Hannover