Planungswissenschaften - Einige kritische Anmerkungen zur Weiterentwicklung

Hans-Henning von Winning

1.11.2001

1 Vorbemerkung: Mehr und bessere Räumliche Planung

Allmählich erholt sich Planung von zehn Jahren Diskreditierung durch den Wind of Change von Trivialmarktideologie. Allzu offensichtlich wird, daß unabgestimmtes Handeln von Teilkollektiven oder Einzelpersonen eben nicht automatisch zum Optimum für alle oder auch nur viele führt. Allzu offensichtlich wird, daß Freiheit nicht Freiheit von, sondern auch Freiheit zu gemeinsamen Vorhaben und Zielen sein kann. Allzu offensichtlich wird, dass Konkurrenz oft keine Erfolgsgarantie ist, sondern nur unsinnigen Aufwand und Verluste produziert; und das nicht nur Konkurrenz, sondern auch kultivierte Einigungsverfahren und Solidarität im Spektrum der menschlichen Fähigkeiten liegen. Dann aber wird gemeinsame Planung wieder wichtig – auch wenn sie Unzulänglichkeiten hat. Denn wissenschaftliche Rationalität ist in der Lage, die Heuristik des Handelns zielgerichtet zu verbessern; und dann ist gelegentlicher Irrtum (und sogar in gewissem Rahmen Dummheit und Eigennutz) bei Planungen immer noch weniger fatal als die Zufälligkeit von Mittelmaß, Rückschritt oder Scheitern.

Zentrales Anliegen ist dabei die Orientierung am „Gemeinwohl“. nicht sektoral


Der Vorschlag der Kommission für ein Kompetenzfeld „Nachhaltige Räumliche Planung“ an der TU München versteht sich folgenden Leitvorstellungen besonders verpflichtet:

– Wissenschaftliche Schlüssigkeit und kritische Rationalität von Leitbildern, Modellen und Verfahren haben Vorrang vor kurzfristigen Interessenlagen von Teilkollektiven.

– Anwendungs- und Praxisorientierung. Forschung und Lehre sollten praktischen Nutzwert haben, aktuelle Fragestellungen bearbeiten und für die Politikberatung geeignet sein.

– Zukunfts- und Innovationschancen können genutzt werden, wenn für individuelle Offenheit, fairen institutioneller Rahmen und ausreichend Ressourcenausstattung gesorgt wird.

– Gemeinwohlorientierung und Nachhaltigkeit sind zu verfolgen, insbesondere dann, wenn bei Überlagerung des öffentlichen und privaten (und NGO-) Sektors unterschiedliche Anforderungen und Handlungsroutinen einbezogen werden.

– Internationalität und Interdisziplinarität sind im europäischen Kontext wichtige Ziele, angesichts wachsender sektoraler und weiträumiger Verflechtungen von Wwirtschaft, Ökologie, Kultur und Politik.

Der räumliche Bezug stellt sich vor Allem in der politischen Ordnung demokratischer Gebietskörperschaften und deren möglichen Weiterentwicklungen dar. Daraus lassen sich allgemeine inhaltliche Anforderungen, Kernkompetenzen, sowie weitere Kompetenzen ableiten.


2 Allgemeine Anforderungen

2.1 Rationalität, Ästhetik, Komplexität, Maßstab, Zeithorizont

Die Bemühung um Planung mit wissenschaftlicher Grundlage erfordert kritische Rationalität über die komplexe Gesamtheit von Räumen in jedem Maßstab. Da die räumliche Betrachtung ihrem Wesen nach sektoral übergreifend ist, erfordert sie Lösungsstrategien unter Beibehaltung hoher Komplexitäten. Kreatives Entwerfen ist eine solche Lösungsstrategie. Versuch und Irrtum auf dem Papier als evolutionäre Optimierung bezieht damit auch ästhetische Kategorien in die (natur-) wissenschaftliche Methodik ein. Ästhetik ist damit Rationalität auf hoher Komplexitätsstufe.

Die Planung sollte Aspekte, Zusammenhänge und Entwicklungen in allen Maßstabsebenen integriert und mit ihren Wechselwirkungen betrachten – jeweils als individuelles Feld oder als beispielhafter Standard. Baulich reicht das vom architektonischen, städtebaulichen und landschaftlichen Detail und Ensemble bis zur Raumordnung im nationalen, kontinentalen oder globalen Maßstab. Aber auch technisch, humanwissenschaftlich oder organisatorisch sind alle Ebenen zwischen individuellen- und aggregierten Betrachtungen notwendig. So kann Planung auch zwischen den politischen Maßstabsebenen mit ihren Spannungen und Widersprüchen vermitteln.

Zeithorizont der Planungswissenschaften ist die mittlere Lebensdauer der von den Absolventen eines Studienganges zu planenden oder in Forschungsprojekten behandelten Investitionen oder Organisationsformen. Damit ist ein Rahmen von ein bis fünf Jahrzehnten angesprochen. Dies zeigt einerseits die zu erwartenden Unschärfen der Planungsaussagen; andererseits die Schwierigkeit des Umgangs mit Legislaturperioden oder Produkt- und Konjunkturzyklen. Von Themen und Ergebnissen wird verlangt, dass sie sich durch einen hohen Grad an Aktualität auszeichnen, sowie für Politikberatung und kurzfristigen praktischen Nutzwert geeignet sind. Gleichzeitig müssen sie aber insbesondere auch Grundlagen liefern für die Formulierung langfristiger, innovativer Leitbilder und Konzepte. Diese Bausteine für räumliche, organisatorische und technische Neuordnungen müssen in besonderem Maße unabhängig von tagespolitischen Forderungen, Drittmittelbedingungen, oder aktuellen Forderungen von Einzelakteuren oder Teilkollektiven sein.


2.1.1 Kernkompetenzen fachübergreifende räumliche Planung

Mit der neuen Leitvorstellung der nachhaltigen Raumentwicklung, der verstärkten Implementierung nicht formalisierter, von unten getragener regionaler Entwicklungsansätze und der wachsenden Europäisierung von Politik und Wirtschaft verändern sich die Anforderungen an den/die praktizierende/n Planer/in grundlegend. Die folgende Empfehlung für Kernkompetenzen versucht, dem schon auf der Stufe der Erst-Ausbildung an der Universität Rechnung zu tragen.


2.2 Analyse, Zukunftsentwurf, Umsetzung

Die erste Arbeitsebene der Planung besteht aus den empirischen und theoretischen wissenschaftlichen Grundlagen. Sie beinhalten Beschreibungen, Analysen und ggf. Bewertungen vergangener und gegenwärtiger Situationen. Darüber hinaus dienen sie der Beurteilung zukünftiger Konzepte, Entwürfe, Zustände und Entwicklungen. Methoden, Modelle und Forschungsgegenstände betreffen alle in Wirkung oder Ursache raumrelevanten Phänomene und alle empirischen und theoretischen Wissenschaftszweige.

Die zweite Arbeitsebene der Planung besteht aus der Erarbeitung von Zukunftsentwürfen, -konzepten und –szenarien. Als ganzheitliche Entwürfe werden durch Versuch und Irrtum in iterativem Verfahren zukünftige Situationen und Entwicklungen erarbeitet,dargestellt, bewertet und optimiert. Methodisch ähnelt das Verfahren dem Entwurfsprozess für Aufgaben der Architektur oder Landschaftsarchitektur; Inhalte sind aber nicht im Wesentlichen das äußere Erscheinungsbild von Bauaufgaben, sondern alle komplexen Zukunftskonzepte, z.B. baulich-räumlicher, politisch-organisatorischer oder technisch-wirtschaftlicher Art.

Die dritte Arbeitsebene der Planung besteht aus der Umsetzung und Realisierung der Erkenntnisse und Entwürfe im rechtlichen und politischen Umfeld. Methodisch bedeutet das Informationsaufbereitung in allen Medien und für alle gesellschaftlich notwendigen Diskursebenen, Beiträge zu Konfliktlösungsstrategien, Mediationsverfahren u.ä. Inhalte sind demokratische Interessenberücksichtigung, Einbeziehung von Akteuren aus dem privaten und NGO-Bereich und Antizipation von Umsetzungsproblemen rechtlicher, politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Art.


2.3 Integration von Siedlungs- und Landschaftsplanung

Bis heute gibt es gelegentlich Versuche, historische Abgrenzungen zwischen städtischen Siedlungen, ländlichen Siedlungen und Landschaft aufrechtzuerhalten. Dies entspricht jedoch kaum noch der heutigen Lebenswirklichkeit oder gar zukünftigen Lebensentwürfen in Mitteleuropa: Verknüpfungen, Vermischungen, Überlagerungen, Substitutionen und Komplementaritäten zwischen diesen Lebensstilen und -räumen scheinen insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten so stark geworden zu sein, dass für zukünftige Planungswissenschaften nur eine inhaltlich integrierte Betrachtung sinnvoll erscheint. Damit gehören Städtebau, Siedlungs- und Landschaftsplanung in allen Maßstabsebenen zu den Kernkompetenzen der Planungswissenschaften.

Für die Integration spricht auch, dass bereits heute die Forschung und Ausbildung der meisten Institute und Fachbereiche für Stadt, Land oder Landschaft in großem Umfang dieselben Gegenstände und Fragestellungen behandeln. Dazu wäre mittelfristig zu überlegen, noch weitere Räume planerisch zu betrachten, die in menschliche Aktivitäten einbezogen und durch diese beeinflusst werden, wie Meere, Atmosphäre, „virtuelle“ Räume u.a.



2.4 Humanwissenschaften und Ingenieurwissenschaften

Die Planungswissenschaften müssen sich mit allen Wirkungsebenen befassen, in denen menschliche Entscheidungen, Vorhaben und Aktivitäten Teilräume ihrer Umwelt berühren und beeinflussen – sei es als Nutzung, Bebauung oder Beeinträchtigung.

Damit gehören humanwissenschaftliche Kenntnisse zum engeren Kompetenzfeld der Planungswissenschaften, weil sie Gesetzmäßigkeiten menschlichen Denkens, Fühlens und Verhaltens in die Planung einbringen. Sie sind aber untereinander oft kontrovers, daher sollte hier besondere disziplinäre Offenheit, Flexibilität und Breite möglich gemacht werden. Über die in den Planungswissenschaften traditionell etablierten Sozialwissenschaften hinaus sollten z. B. Humanethologie, Anthropologie, Neurologie, Biologie, Psychologie, Pädagogik, Sozialpsychologie, ökonomische Fächer, Kulturgeschichte u.a. einbezogen werden.

Besondere Bedeutung kommt weiterhin der Bewertung und Einbeziehung moderner Techniken in die Planungswissenschaften zu, und zwar aus folgenden Gründen:

– Viele Techniken haben neue und äußerst verstärkende Wirkungen, sowohl am Standort selbst, als auch raumübergreifend und über weite Entfernungen.

– Viele Techniken entziehen sich der unmittelbaren Sinneswahrnehmung und bedürfen daher einer sachgerechten Aufbereitung für die räumliche Planung.

– Gerade Techniken der Raumüberwindung können durch Transport von Gütern, Personen, Energie oder Information die Eigenschaften von Standorten oder Teilräumen stark verändern.

– Transporttechniken haben eine lange kulturelle und evolutionäre Tradition der Lebensverbesserung durch Ortswechsel – damit tendieren sie anstelle nachhaltiger Bewirtschaftung zur Flucht vor und Verschleierung von negativen Folgen von Fehlplanungen oder Fehlentscheidungen.

Technikdisziplinen sind also dringlich, weil hier langfristige Zukunftsentscheidungen getroffen werden, die in hohem Maße raum- und gesellschaftsrelevant sind. Über die in den Planungswissenschaften traditionell etablierten Verkehrstechnik für Personen- und Gütertransport hinaus sollten insbesondere Kommunikationsübertragungstechnik und Energieübertragungstechnik in das engere Kompetenzfeld der Planungswissenschaften werden.


3 Disziplinen, Fächer, Fachbereiche

Inhaltlich oder methodisch notwendige oder wünschenswerte Beiträge für die Planungswissenschaften können und müssen von bestehenden Disziplinen, Fächern oder Fachbereichen geliefert werden. Planung als Querschnittsaufgabe bedeutet dabei zwangsläufig, dass jeweils nur einzelne, oft nur kleine Teile bestehender Fächer und ihrer organisatorischen Einheiten einbezogen werden. Wenn dabei Schwerpunkte bestehender Fächer divergieren, resultieren daraus möglicherweise Konkurrenzen als latente Gefahren für die Planungswissenschaften.


3.1 Raumordnung, Stadt-, Regional- und Landesplanung, Landschaftsplanung

Aus folgenden Fächern sollten die zentralen Beiträge für die Planungswissenschaften zusammengestellt werden:

– Architektonische Fächer Architektur, Städtebau, Landschaftsarchitektur. Inhaltliche Beiträge sind Funktion und Gestalt baulicher und natürlicher Ensembles, einschließlich öffentlichen Räumen, Freiräumen und Erschließung; methodische Beiträge sind Zukunftsbezug sowie die Methodik des Entwerfens durch Versuch und Irrtum als Lösungsstrategie für komplexe, multidimendionale Aufgabenstellungen.

– Geografische Fächer mit inhaltlichen Beiträgen aus Stadt-, Verkehrs-, Wirtschafts- und Sozialgeografie sowie Teilen der physischen Geografie; methodische Beiträge sind vielfältige, wissenschaftlich gleichermaßen präzise und offene fach- und instrumentenübergreifende Analyse-, Darstellungs- und Dokumentationstechniken.

– Planerische Fächer Stadt-, Regional- und Landesplanung, Raumordnung sowie Landschaftsplanung. Inhaltliche Beiträge sind die gesamtheitliche Betrachtung der physischen, sozialen, ökologischen, natürlichen und kulturellen Grundlagen und Entwicklungen von Raum- und Bodennutzungen; methodische Beiträge sind wissenschaftliche Prognoseverfahren sowie rechtliche und politische Implementation.

Das beinhaltet in Lehre und Forschung:

– Kompetente und wirklichkeitsbezogene Behandlung der materiellen raumordnerischen Leitphilosophien und Konzeptionen; z.B. Philosophie ausgeglichener Funktionsräume und wertgleicher Lebens- und Arbeitsbedingungen versus funktionsräumlicher Arbeitsteilung, bis hin zum Erschließungsprinzip, dem Vorhalteprinzip und dem Prinzip der dezentralen Konzentration usw.;

– Sachgerechte Behandlung räumlicher Struktur- und Prozessmuster in Abhängigkeit ihrer Determinanten und unter Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Megatrends und Rahmenbedingungen; Sensibilität für räumliche Fragestellungen; fundierte Raum- und Ortsbezüge, Raumbewusstsein;

– Theorieansätze zur Raumentwicklung unter dem Blickwinkel ihrer Praxisrelevanz, insbesondere Standorttheorien (einzelwirtschaftlich/ gesamtwirtschaftlich), regionale Wachstums- und Entwicklungstheorien (u.a. neoklassische Gleichgewichtstheorien, polarisationstheoretische Ansätze, nachfrageorientierte Ansätze, Wirtschaftsstufentheorien, Theorien räumlicher Innovation und Diffusion);

– Anwendung von Werkzeugen der deskriptiven und induktiven Statistik sowie der Prognostik, der empirischen Sozialforschung und der Geoinformatik;

– Realitätsbezogene Bearbeitung der Instrumente der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung, von formellen Instrumenten wie den Programmen und Plänen, dem Raumordnungsverfahren, der Projekt- bzw. Programm-Umweltverträglichkeitsprüfung, der landesplanerischen Stellungnahme, der Untersagung und dem Zielabweichungsverfahren bis hin zu weichen, informellen Instrumenten, wie dem Teilraumgutachten, den grenzüberschreitenden Entwicklungskonzepten, dem Regionalmanagement und -marketing, den vielfältigen Kooperationsansätzen, den Instrumenten zur Schaffung regionaler kreativer Milieus und den planungsbezogenen Moderations- und Mediationstechniken;

– Kompetente und wirklichkeitsbezogene Behandlung der rechtlichen Grundlagen der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung, Grundzüge des öffentlichen Rechts; vertiefte Kenntnisse über Aufgaben und Zuständigkeiten der unterschiedlichen Planungsebenen; Kenntnis über den Ausbau anderer Staaten und Länder, Spezialkenntnis über deren Planungssysteme, zumindest in Deutschland und Europa; Kenntnis über die wesentlichen Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Raumentwicklung in Europa;

– Praxisgerechte Synthesefähigkeit des/r Planers/in; dabei Bereitschaft und Fähigkeit zu vernetztem Denken, zur Offenheit für fachübergreifende Problemlösungsansätze und Aufgeschlossenheit für unterschiedliche Anliegen und Interessen sowie zum schlüssigen Abwägen unterschiedlicher fachlicher Belange;

– Kreativität und Innovationsfähigkeit, vor allem Aufgeschlossenheit für unkonventionelle, aber praktikable Problemlösungen, Neugier auf neue, ideenreiche Problemlösungen und Anwendungsfelder von Instrumentarien der Raumplanung; Bereitschaft zum Risiko bei der Durchsetzung neuer Ideen.


3.2 Weiterentwicklung traditioneller Planungswissenschaften

Die Raumordnung, Stadt-, Regional- und Landesplanung sowie die Landschaftsplanung haben sehr unterschiedliche, z. Tl. junge Wurzeln. Daher gibt es in den Planungswissenschaften kein differenziertes einheitliches Programm, Erscheinungsbild und Selbstverständnis.

Vielmehr zeigen sich inhaltlich und methodisch immer wieder Konfliktlinien. Beispiele hierfür sind Missverständnisse zwischen empirischen Befunden und architektonisch-künstlerischem Entwurf, zwischen technisch-ökonomischen Zusammenhängen und Bedürfnissen unterschiedlicher Akteure, zwischen den Stadtbegriffen angelsächsischer und südeuropäischer, oder metropoler und kleinstädtischer Prägung, zwischen naturwissenschaftlich und sozialwissenschaftlich ermittelten Sachverhalten und Modellen, oder zwischen langfristig wirksamen Gesetzmäßigkeiten und kurzfristiger politischer Planung. Die divergierenden Auffassungen sind zum Teil so stark, dass die Beteiligten die gemeinsamen Zielsetzungen und die Beiträge Anderer in Frage stellen und zur Rückkehr zu ihren früheren, scheinbar konstanteren Wissenschaftsdisziplinen neigen.

Diese Tendenz wird verstärkt durch die teilweise geringe Wirksamkeit und Akzeptanz öffentlicher räumlicher Planungen in der politischen Realität. Diese wird vielfach auf eine allgemeine gesellschaftliche Überbewertung privater und sektoraler Planungen und mangelnde Kommunikationsfähigkeit zurückgeführt.Weitere Ursachen dürften aber auch sein, dass die inhaltlichen wissenschaftlich Grundlagen der räumlichen Planung sich einerseits zusehr an vordergründige Nachfrage anpassen, andererseits nicht ausreichend modernen Sachverhalten angepasst wurden.

Zwar gibt es offenbar quantitativ genügend Planung. Defizite, Bedarf und Notwendigkeit wird aber nach hochqualifizierter, wissenschaftlich begründeter, gemeinwohlorientierter räumlicher Planung festgestellt. Dabei könnten sich die Akteure in Zukunft auch in den privaten Bereich verlagern; hieraus lässt sich a priori kein Qualitätsmerkmal ableiten. Es wird daher empfohlen, weiterhin die Zielsetzungen zu verfolgen, die Planungswissenschaften weiterzuentwickeln, und damit schließlich die Planungen zu verbessern. Dabei kann auf die Erfahrungen, aber nur begrenzt auf die Konzepte der bisherigen Versuche zu Planungswissenschaften an Universitäten zurückgegriffen werden. Vielmehr sollten Inhalte und Methoden kritisch überprüft und im Hinblick auf Brauchbarkeit und Schlüssigkeit vielfach neu zusammengestellt werden.


3.3 Beiträge aus bestehenden Fachbereichen

Die oben dargestellten Überlegungen zeigen, dass die Planungswissenschaften keine neuen Inhalte oder Methoden erfordern. Vielmehr versuchen sie, bestimmte Teile traditioneller Fächer zusammenzustellen. Aus der inhaltlichen Struktur der notwendigen Fächer werden insbesondere folgende Beiträge aus folgenden Fakultäten der TU München für notwendig gehalten; diese Fachgebiete bilden die Kernkompetenzen der Planungswissenschaften:

– Die Fachgebiete für Städtebau, Stadtentwicklung, sowie Stadt-, Regional- und Landesplanung aus der Fakultät für Architektur;

– Die Fachgebiete der Geographie aus der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften;

– Die Fachgebiete für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur aus der Fakultät Wissenschaftszentrum Weihenstephan;

– Die Fachgebiete für Verkehrswesen, Bodenordnung und Landentwicklung aus der Fakultät für Bauingenieurwesen.

– Je ein Fachgebiet aus Energietransport und Kommunikationstransport sowie aus den Humanwissenschaften (z.B. Anthropologie) zur Profilbildung.


3.4 Mögliche Konfliktlinien zu bestehenden Fachbereichen

Die traditionellen Fakultäten sind meist nur in Teilen planungsrelevant; mehrheitlich sind oder fühlen sie sich häufig planungsneutral oder teilweise auch gegenläufigen oder einseitigen Entwicklungen verpflichtet. Beispiele hiefür sind etwa:

– in der Architektur die starke Tendenz zu Erscheinungsbild, Design und Neubauvolumen,

– in der Geografie sehr große Teile der physischen Geografie; methodisch das starke Gewicht auf Analyse mit dem verbreiteten Missverständnis von Prognose als Planung,

– in der Landschaftsplanung die stark auf Restriktion und Negativplanung ausgerichteten Traditionen sowie ungelöste Widersprüche zwischen traditioneller Landnutzung, romantischer Naturauffassung und rein naturwissenschaftlicher Analyse

– in einigen Ingenieurdisziplinen die geringe Bereitschaft zu Nachhaltigkeitszielen und Beschränkung auf deduktive Methoden und konservative Inhalte.

Gleichzeitig entfalten traditionelle Fachrichtungen für ihre Mitglieder erhebliche Identifikations- und Bindungswirkungen, die sich in Korpsgeist, Branchensolidarität, sowie berufsständischen und wissenschaftlichen Organisationsformen und Außendarstellungen widerspiegeln und sich bis hin zu gruppeninternen Zwängen selbst verstärken. Diese selbstverstärkenden Kräfte werden umso intensiver, je weniger Bindungswirkung von anderen gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien ausgehen, und je mehr Wissenschaftszweige und Fachbereiche bei begrenzten Ressourcen eher konkurrierend als kooperierend positioniert und externen Rechtfertigungszwängen ausgesetzt werden. Daher bedarf die Ausgliederung und Neuzuordnung einzelner Fachgebiete besonders sorgfältiger und überzeugender Vorbereitung.

Planungswissenschaften werden hier erfahrungsgemäß noch stärker als andere Innovationen häufig als latente Schwächung und Bedrohung angesehen; gleichzeitig ist die Kohäsion innerhalb der Planungswissenschaften weniger stark – eben auf Grund ihrer jungen Geschichte und den konkurrierenden Solidaritäten ihrer Akteure.

Die im Zuge dieses Verfahrens verwendeten Gutachten und Stellungnahmen über Planungswissenschaften von Einzelpersonen oder Mehrheiten aus den traditionellen Fachbereichen konnten sich in der Regel diesen Gesetzmäßigkeiten kaum entziehen. Ihre Einordnung sollte diesen Faktor berücksichtigen. Für Aufbau, Stärkung und Bestand der Planungswissenschaften wirken diese Tendenzen jedenfalls zentrifugal. Wie jede Innovation sind sie durch die etablierten Einrichtungen ständig latent gefährdet und müssen institutionell und kommunikativ von außen laufend gestützt und gesichert werden.




3.5 Weitere Kompetenzen

Kenntnisse und Fähigkeiten zu sektoralen Planungen sollten bedarfsweise einzeln verfügbar oder jedenfalls ergänzbar sein. Dabei geht es um die Vermittlung und Diskussion neuer praxisnaher Ansätze an folgenden Nahtstellen:

– Städtebau, Bauleitplanung, Stadterneuerung und -sanierung sowie Revitalisierung von Städten und Denkmalsschutz; insbesondere Entwurfsfähigkeit, vertiefte Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit der Skizzenrolle; Fähigkeit, dreidimensionale Räume zu erfassen; Grundkenntnisse in der Ästhetik und Technik;

– Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, vor allem Grundzüge und raumbezogene Aspekte;

– Ökologischer und technischer Umweltschutz, einschl. Landschaftsarchitektur, Landschaftsplanung, Wasserwirtschaft und Risikoabwehr von Naturgefahren, aufbauend auf Grundkenntnissen über Wirkungsweisen von Geofaktoren sowie der Ökosystemforschung;

– Agrarstrukturplanung, ländlicher Entwicklung und Dorferneuerung, unter Einbeziehung von Grundkenntnissen in der Agrarpolitik sowie des Vermessungswesens;

– Standortplanung gewerblicher Wirtschaft und Dienstleitungen, Kenntnisse über Art und Stellenwert harter/weicher Standortfaktoren, Kenntnisse über Zielsetzung, Ablauf und Stufigkeit betriebswirtschaftlicher Standortplanung; Fähigkeit, die wichtigsten Methoden sicher anwenden zu können (z.B. Netzplantechnik);

– Verkehrsplanung, unter besonderer Berücksichtigung unterschiedlicher räumlicher Anforderungen (ländlicher Raum/Verdichtungsraum) sowie unter Einbeziehung von Grundkenntnissen über die Entwicklung der Verkehrssegmente und Teilmärkte; Grundzüge der Verkehrstechnik und -steuerung; Mobilitätsmanagement;

– Planung sozialer und kultureller Infrastruktur, vor allem im Hinblick auf den demographischen und gesellschaftlichen Wandel und die unterschiedlichen Erfordernisse zur Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum bzw. in den Verdichtungsräumen.

– Planungen in weiteren Bereichen, wie z.B. Energieerzeugungstechnik, Agrartechnik, Infrastruktur-, Ver- und Entsorgungstechnik, Rohstoffgewinnung, Umwelttechnik, Industrieorganisation und -logistik, Bauingenieurwesen, weiter räumliche Überbrückungstechniken u.a.


Die Beiträge einer Reihe von Disziplinen sollten als Grundkenntnisse zugänglich, und vertieft für Teile der Planungswissenschaften wählbar gemacht werden; die Raumwissenschaften würden so als Beitrag für gesellschaftliche und wissenschaftliche Kohäsion mindestens einzelne Brücken in alle Lebensbereiche ermöglichen.

Dazu gehören alle verfügbaren Fächer, die mittelbar Raum-, Planungs-, Umwelt- und Politikbezug haben oder für die Planungswissenschaften methodisch oder verfahrensmäßig hilfreich sein könnten. Beispiele hierfür sind planungs-, bau- und umweltrelevante Rechtsgebiete, Politologie, Soziologie und Psychologie, Spezialkenntnisse über teilräumliche soziale Prozesse, über Planungsinstitutionen und deren Wirkungsweisen; Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Ökonomie von Siedlungswesen, Bau- und Wohnungswirtschaft, Kunst- und Stadtbaugeschichte, Denkmalschutz, Landschaftsästhetik, Bauingenieurwesen für Technische Infrastrukturen Straße, Schiene, Wasser, Abwasser, Vermessungswesen, Geoinformatik, Fernerkundung, Umweltökologie, Anwendungsbezogene Schulung sprachlicher Kompetenzen, allgemeine Fremdsprachenkenntnisse, Spezialkenntnisse in Planungs-Englisch und -Französisch, anwendungsbezogene EDV-Kenntnisse und -fähigkeiten, Darstellungs-, Bewertungs-, Vermittlungs- und Mediationsverfahren. Diese Aufzählung ist nicht abschließend.


4 Schlußfolgerungen: Studiengänge und Berufsbilde diversifizieren